tri.fine

Das Leben kann so einfach sein.

Alternativtraining

Mit Ankunft am Flughafen hatte ich noch zwei Stunden Zeit bis zum Boarding. Also vertrat ich mir die Beine, ich würde noch lange genug im engen Flugzeug sitzen und sowie hatte ich den ganzen Tag im Seminar gesessen. Ohne Ziel schlenderte ich die Ladenpassage vor den Abfluggates entlang. An einem aufwändig aufgebauten Promotionstand streckte mir eine schwarz gekleidete junge Frau mit langen braunen Haaren ein goldfarbenes Kosmetikpröbchen entgegen.

Ich nahm es an und schaute ihr in die Augen, um mich mit einem Lächeln zu bedanken. Natürlich ergriff sie die Chance um mich in ein Verkaufsgespräch zu verwickeln. „Welche Tagescreme verwenden Sie?“ Ich teilte ihr das bereitwillig mit der Erklärung, dass ich sehr trockene Haut hätte, mit. Sie bat mich ihr in Ihren Stand zu folgen. Da ich es ja nicht eilig hatte, tauschte ich quasi für die erhaltene Gratisprobe meine Zeit ein. Ich folgte ihr, zögerte zuerst, als sie mir anbot zu sitzen, aber nahm dann doch Platz, obwohl ich mir ursprünglich die Beine vertreten wollte.

Sie nahm sanft meine Hand, erzählte mir mit ihrem starken osteuropäischen Akzent von ihrer tollen Reinigung, wie die Perfekte Mischung aus Salz und echten Goldpartikeln die Haut reinige und pflege. Sie demonstrierte mir an meinem Handrücken, wie sich der Schmutz aus den Poren in nur einer Minute in grau-schwarzen Kügelchen abrubbeln ließen als Beweis für die Tiefenreinigung meiner Haut. „Das ist der ganze Schmutz aus den zugesetzten Poren der Haut. Jetzt stellen Sie sich das in Ihrem Gesicht vor! Stellen Sie sich vor, was für eine reine Haut Sie hätten. Und das Ganze mit nur einer Minute Aufwand pro Woche. Das Salz holt den ganzen Schmutz aus den Poren und Gold wirkt entzündungshemmend. Benutzen Sie ein Peeling? Sie behandeln Ihre Haut wie eine Lasagne. Sie legen eine Schicht über die andere.  Sehen Sie,“ sie forderte mich auf, beide Handrücken nebeneinander zu halten und brachte auf beide eine weiße Creme auf. Sie zählte mit, wie lange sie diese einmassierte. „Jetzt fühlen Sie mal!“ In die Haut auf dem vorher behandelten Handrücken war die Creme bereits eingezogen und sie fühlte sich weich an. Der andere Handrücken fühlte sich klebrig an; die Creme war nicht eingezogen, obwohl sie hier länger massiert hatte. „Sehen Sie?“ sie schaute mich mit großen Augen an. „Ihre Haut ist gereinigt, die Poren frei, deshalb nimmt sie die Pflegecreme auf.“

Ja, das Gefühl auf der gereinigten Hand war besser. Nicht so klebrig. Ich dachte nach. Sie hatte aufgehört zu reden und schaute mich erwartungsvoll an. Sie musste mich überzeugt haben.  Etwas anderes konnte sie sich nicht vorstellen. Um die Gesprächslücke zu füllen fragte ich sie, was das kosten sollte. „165,-€ für die Reinigung und 180,-€ für die Creme.“ Ich lächelte sie an und sagte „nein danke“. Sie schaute mich mit erschrockenen Augen an, als hätte ich gerade gesagt, ich wolle ohne Fallschirm aus 4000m Höhe aus einem Flugzeug springen. „Warum nicht?“ – „Zu teuer“, antwortete ich. „Zu teuer? Ein Topf“, und sie nahm den Topf in beide Hände als sei es eine heilige Reliquie und hielt ihn mir vor die Nase. „Ein Topf hält ein Jahr. 165,-€ für ein Jahr schöne Haut, ist Ihnen zu teuer? Was kostet Ihre Creme?“ – „20,-€“ – „20,-€ im Monat, das sind 240,-€ im Jahr…“ – „Nein, 20 € im Jahr.“ Jetzt wurde sie wütend. Ich konnte förmlich sehen, wie sie innerlich kochte. „20,-€ im Jahr!“ Sie griff sehr energisch zum Handspiegel auf der Ablage neben ihr und hielt ihn mir vor mein Gesicht. „Sie sehen aus wie eine Tomate!“ Damit war für mich die Sache erledigt. Ich bedankte mich für das `Kompliment´, lächelte sie mit einem kurzen Kichern an, um ihr die Möglichkeit zu geben aus dieser Bemerkung wieder rauszukommen. Sie schaute mich fassungslos an, während der Spiegel in Ihrer Hand langsam hinab sackte. „Das ist nicht zum Lachen! Sie sehen die Wirkung doch! Schauen Sie auf Ihre Hände!“ Ich entgegnete ihrem entsetzten, vorwurfsvollen Blick und sagte ruhig „Ich werde nichts kaufen“. Sie schüttelte ungläubig und mit offenem Mund den Kopf. In aller Ruhe nahm ich mein Gepäck und verabschiedete mich „Schauen Sie ich nicht so an“. Ein Lachen konnte ich mir in dem Moment nicht verkneifen. Mit einem beleidigten „Wie soll ich denn da sonst schauen?“ das sie mir hinterher warf, verließ ich den Stand.

Kurze Zeit später fingen beide Handrücken an zu jucken. Die Rötung auf der `gereinigten Hand´  kam zurück und beide sahen wieder aus wie vorher.

Mal im Ernst. Wieso soll ich ein hundsteures Produkt kaufen, das ich mir auf die Haut schmiere, um das gleiche Zeug, eine Minute später wieder komplett abzuschrubben, und mit dann die Haut mit einer noch teureren Creme einzucremen, weil sie vom ganzen schrubbeln trocken geworden ist, und das von einer Verkäuferin, die mich beleidigt und deren Laden ich nur aus Langeweile betreten habe?

Für  die 345€ kann ich 100x Eintritt ins Schwimmbad zahlen, mir über 3 Monate Fitnessstudio mit Sauna gönnen, kann 88 Ersatzschläuche für mein Rennrad kaufen, 58 Gulaschsuppen beim Skifahren auf der Hütte essen oder 26 kg Bio Ingwer kaufen, der auch entzündungshemmend wirkt. Die gesunde Hautfarbe und freie Poren bekomme ich gratis dazu. Gute Laune und freundliche Menschen zumeist auch.

Das Leben kann so einfach sein.